NotizBLOG | Freilassing/Obb. | Vorwort, Einführung, Themenübersicht

Freilassings Identität – Lehm und Eisen(bahn)
und vieles mehr

Textstand 2022 | 2023 | bearbeitet 2.04.2024 (refresh )


Vorweg bemerkt: Ich lebe und wohne gern in Frei­lassing in Oberbayern; meine Be­merkungen zur Stadt sind wohl­wollend gemeint. Ich schlendere mit offenen Augen durch die Welt, habe Spaß am Foto­grafieren, Recher­chieren und krea­tiven Schreiben (und habe früher darin jahr­zehntelang Erfahrung gehabt; das hier ist quasi ein Neu­anfang nach längerer Pause, eine Fort­setzung, um das Hand­werk nicht ganz zu verlernen ... 😀), und sehe meine Auf­gabe jetzt nicht darin, die Orts­geschichte auf­zuarbeiten oder gar ein "Experte" darin zu werden – mitnichten, denn meine Arbeits­weise war seit jeher, nicht Antworten zu WISSEN, sondern zu FINDEN. Vielmehr möchte ich anderen und vor allem jungen Menschen An­stöße geben und ihr Interesse wecken und bin hier online aus Freude am Recherchieren, Texten und Fotografieren.

Vorwort (oder was mir an Freilassing gefällt). Freilassing – eine ent­schleunigte, beschauliche Wohn- und ober­bayerische Ein­kaufsstadt an der deutsch-öster­reichischen Landesgrenze.

Die über 17.000 Einwohner Freilassings bestehen aus altein­gesessenen Bayern und "Zugereisten" wie mich (in West-Berlin groß geworden; habe die längste Zeit, von 1972 bis 2008, in Wies­baden und Selters/Taunus verbracht, also bei den Hessen). Zusammen mit vielen Öster­reichern (jeder achte Frei­lassinger), Schwaben und Menschen unter­schiedlicher Nationen, die sich in der Beschau­lichkeit der ober­bayerischen Klein­stadt ebenso wohlfühlen.*

* Zur Bevölkerungsstruktur: 57 Prozent der Bewohner sind "Deutsche ohne Migrations­hintergrund" (9.915 von insgesamt 17.368). Es folgen auf Platz 2 Österreicher mit 13,7 Prozent (2.384) und auf Platz 3 EU-Osteuropäer mit 8 Prozent (1.395), vor allem Rumänen, Kroaten oder Polen. Dazu kommen Ein­wohner aus vielen anderen Nationen. Flüchtlinge spielen mit einem Anteil von 2,7 Prozent (467 Personen) im Vergleich zur Größe der Stadt keine große Rolle [1].

Mir gefällt, dass ich als Freilassinger an der Stadt­grenze der Welt­kultur­erbestadt ☞ Salzburg wohne. (Mit einem inter­nationalen Airport, den ich allerdings bisher erst einmal für einen Kur­ztripp nach ☞ Mallorca genutzt habe, und dessen Flug­zeuge ab und zu geräuschvoll über unser Haus fliegen – kein Problem für mich als ehe­maligen West-Berliner, der sowas schon als Kind kannte.)

Am Zusammenfluss der Grenzflüsse ☞ Saalach und ☞ Salzach (☞ "Saalachspitz"). Mit schönen Ufer­wegen an beiden Flüssen in Richtung Norden und Süden. Nur wenige Kilometer weiter liegt das mondäne traditions­reiche Kurbad ☞ Bad Reichenhall mit einladendem "König­lichem Kurgarten", den Besucher als Kur­park wahr­nehmen und schätzen.

Am Schnittpunkt von Eisenbahnlinien gelegen (Hauptstrecke München – Salzburg – Wien), mit Auto­bahn und wie erwähnt Airport in der Nähe, ist Freilassing in Ober­bayern verkehrsgünstig ange­bunden und das in reiz­voller Lage im Alpen­vorland (☞ Högl) . Mit freien Blicken zum prachtvollen ☞ Staufen­massiv, zur bar­busigen "Schla­fenden Hexe" (☞ Latten­gebirge) und zum geheim­nisvollen ☞ Untersberg sowie zum ☞ Gaisberg, dem Haus­berg unserer liebens­werten Salz­burger Nachbarn, oder ebenso vielfach gut sichtbar ☞ Maria Plain, dem dortigen Wall­fahrtsort. In der Ferne schnee­bedeckte Gipfel weiterer Berge in Deutschland und Österreich! Sehr schön hier.

Kein Wunder, dass ich meine Wahl­heimat Freilassing (seit 2011) und die Um­gebung schätzen und lieben gelernt habe und manches beim "Schlendern" mit offenen Augen Gesehene und Erlebte hier in meinem persön­lichen Blog, dem "NotizBLOG", zum Gegen­stand von Be­trachtungen und Plau­dereien machen möchte – in Fort­setzungen, nach und nach. Viele Fotos habe ich schon. (Habe aber nicht vor, einen Reise- oder Wanderführer zu verfassen. 😊)

Einführung (oder über Identität, Geschichte und mehr). Bei der Stadterhebung Freilassings 1954 (vordem Gemeinde, die bis 1923 den Namen ihres jetzigen Orts­teils Salzburg­hofen trug) wurde im Rahmen der Fest­reden nicht ohne Grund die Bedeutung von "Römer, Bauer, Eisen­bahner und Bürger" als "vier Vertreter aus der Orts­geschichte" für die neue Stadt hervor­gehoben, was historisch begründet und nicht in Verges­senheit geraten sollte (Enzinger 2003, S. 200; Friedl 1974, S. 90).

Freilassing und einige seiner Ortsteile, wie ☞ Salzburghofen (Königshof, mindestens seit 885), haben seit rund tausend Jahren vor allem bäuerliche Wurzeln ("Lehm"). Davon zeugen bislang noch bewirt­schaftete Felder mitten in der Stadt (zum Beispiel am verlängerten ☞ Fürsten¡weg), die ich sehen kann, wenn ich aus dem Fenster schaue. Und die letzten intakten Bauern­häuser und Ställe. Das Land­wirtschaftliche prägt bis heute, neben anderen Merk­malen, die Identität Freilassings, was – wie ich nur hoffen kann – auch von den neuen Generationen erlebt und als etwas Besonderes betrachtet (werden) wird.

Die Identität der stetig wachsenden Gemeinde Salz­burghofen und späteren Stadt Frei­lassing prägten neben den altein­gesessenen Bauern die zuge­zogenen Zoll- und Grenzpolizei­beamten (Grenzort seit 1816), und ab 1860 dank neuer Migrations­wellen die Eisen­bahner, Unter­nehmer, Kauf­leute, Hand­werker und Arbeiter. (Dazu kamen ab 1945, wie an anderen Orten in unserer Region, Heimat­vertriebene und Flüchtlinge.)

Der Ort ist also erst in den letzten 150 Jahren durch Migration zu dem geworden, was er um 1900 geworden und bis heute ist. Dabei bleibt scheinbar eine soziale Gruppe, mit Aus­nahmen, außen vor – die Aka­demiker. (Zu den Aus­nahmen zählt z.B. Dr. Georg Vogl, der Freilassinger Chef­arzt und Bürger­meister, an den eine Tafel an der Diakonie, Schulstraße 6/8 erinnert. Ebenso der Namen­geber des ☞ Soergel-Parks und andere.)

Die "Volksbildung" (Lesen und Schreiben) in Freilassing war zunächst aus­schließlich religiös geprägt, denn sie lag am Anfang vor über 300 Jahren in den Händen von Kirchen­leuten, dann bei Augustiner­mönchen und später auch Nonnen, die die Volks­frömmigkeit zu fördern suchten, was sich übrigens vom Konzept des Bene­diktiner­ordens unter­schied, dem Bischof Rupertus und seine (teilweise hoch­gbildeten) Nach­folger in Salz­burg angehörten, die neben dem Glauben gleich­zeitig Bildung, Kunst und Wissenschaft schätzten und förderten. (So ent­wickelten sich Menschen in Salz­burghofen/Freilassing und Salzburg, soweit sie unter dem Einfluß von Augustinern oder Bene­diktinern standen, offenbar in zwei unter­schiedlichen Bildungswelten und konnten sich durchaus jeweils andere Sicht­weisen auf das Leben und die Welt aneignen.)*

* Die Augustiner beanspruchten und verteidigten die Ein­führung der "Volks­schule" in Freilassing als ihre unbe­streitbare Domäne – bis die Zeit sie überholte (☞ Schulen). Nach Kriegs­ende 1945 lehnte der Gemeinderat Freilassings quasi im Geiste der alten Tradition die Gründung einer "höheren Schule" (Mittlere Reife) für Frei­lassings Jugend kate­gorisch ab mit der ein­seitigen Begründung: "Es besteht kein Bedürfnis für eine Mas­senbildung von Menschen, die in der Produktion nur eine Belastung sind. Wir brauchen Arbeits­kräfte auf der ganzen Linie für das Hand­werk, wofür eine Berufs­schule voll­kommen den Zweck erfüllt" (Enzinger 2003, S. 436). So steht bislang noch heute die Berufs­schule in Freilassing als ein Dreh­kreuz für junge Menschen im Mittel­punkt ihres Bildungsweges, wenn sie vor Ort bleiben wollen oder müssen (soweit ich das gegenwärtig verstehe).

Seit 1860 "verknoteten" sich bei Freilassing neue Eisen­bahnlinien ("Eisen"), so mit der Strecke München – Salzburg – Wien, die zur Anbindung der Gemeinde und unserem Nachbarn ☞ Salzburg an den Rest der Welt führte, was für beide Orte den Beginn eines wirt­schaftlichen Auf­schwungs markierte und auch den ☞ Fremden­verkehr in der gesamten Region beflügelte. Ähnlich profi­tierten andere Ort­schaften entlang der Strecke von der Eisen­bahn. (So hatte sich ange­sichts des wirtschaftlichen Nieder­gangs der jahr­hundertealten Salinen und des Salz­handels ☞ Berchtesgaden recht­zeitig auf den Frem­denverkehr mit Natur- und Berg­tourismus und ☞ Bad Reichenhall auf den Kur­betrieb umgestellt, die Stadt ☞ Laufen an der Salzach zum Beispiel dagegen verharrte land­wirtschaftlich geprägt und erlebte trotz der Eisen­bahn, die sogar zum Niedergang der Salz­schifffahrt beitrug, keinen nennens­werten wirt­schaftlichen Boom.)

Ab 1900 gab es für Salzburghofen/Freilassing durch die Eisenbahn einen weiteren Wirtschaftsschub, als es zur Errichtung von Betriebswerkstätten (Bw) für Dampf- und später für Elektroloks kam, was unserer Gemeinde 1910 unter anderem Wasser­leitungen und Hydranten brachte.

Das nostalgische Bahn­betriebswerk mit Rundlok­schuppen und andere Bahn­betriebs­gebäude blieben beim verheerenden Bomben­angriff der alliierten Piloten am 25. April 1945 auf den Bahnhof und das Heeres­zeugamt fast unbeschädigt. So kann man sie noch heute vor Ort im Eisen­bahnmuseum "Lokwelt Freilassing – Deutsches Museum" bewundern (eröffnet 2006).

Anders erging es dabei dem Bahnhof selbst und dem Heeres­zeugamt, das man nach dem "Anschluss" Österreichs 1938 statt in Salzburg, wie ursprünglich geplant, nunmehr in Freilassing von Klebing bis Stetten baute – was fatale Folgen für die Frei­lassinger haben sollte (Enzinger 2003, S. 249): Schwere Verwüstungen in der Nähe der zer­störten Ziel­objekte Bahnhof und Heeers­zeugamt am 25. April 1945 und damit Tod für eine Anzahl Soldaten, Zivilisten und Menschen unter Zwangsarbeit. (Ähnlich wie überall in Hitler-Deutschland, wo die Alliierten Ver­nichtungs­angriffe gegen Ein­richtungen wie die Heeres­zeugämter und ihre Bahnhöfe flogen, legten sie ebenso Bahnhöfe entlang der Strecke München – Salzburg, zum Beispiel das Bahn­hofs­gelände in Rosenheim, in Schutt und Asche.)

Gleichzeitig brachte der Aufschwung damals durch die Entstehung einer Arbeiter­schicht soziale und lokal­politische Umwälzungen und Freilassing den sozial­demokratischen Bürger­meister ☞ Karl Rittmann (1919 – 1933, 1945 – 1947), den die National­sozialisten ins KZ Dachau verbrachten und später wieder freiließen (Enzinger 2003, S. 225; vgl. zu den Opfern des National­sozialismus "Erinnerungskultur/Gedeken" [in Arbeit/Planung]).

Oben sieht man einen morgendlichen Schnapp­schuss an einem sommer­heißen Augusttag Ruper­tusstraße Ecke Augustiner­straße, der das bisher Beschriebene visuell vertiefen kann. Denn das Foto macht einen für Freilassing charakteristischen "Mehr­klang" sichtbar, so finde ich, vermittelt einige der schönen und heraus­ragenden Merk­male ihrer Identität als Stadt neben Industrie, Handel und Bürgertum:

  • die ☞ Rupertuskirche im Hintergrund und Zentrum der Stadt – hier Symbol für katholische Traditionen wie in Salzburg ("Kreuz"); der heilig geprochene Rupertus (siehe unten) ist Landes­patron vom "Ruperti­winkel" und Flachgau (Österreich), die früher politisch und kulturell zusammengehörten.
  • ein Feld (fast) im Mittelgrund – steht für Land­wirtschaft/Bauernhöfe ("Lehm"), die jahr­hundertealten bäuerlichen Wurzeln des Ortes (☞ Weberbauer­gasse, Ludwig-Zeller-Straße), was ich für etwas besonderes in einer Stadt halte. Etwas, worauf man stolz sein kann. Ein bewahrens­wertes Erbe, wie ich finde, das Freilassingern in der Moderne ein Stück Heimat­gefühl neben anderen heraus­ragenden Merk­malen (wie ihre Industrie- und rund tausend­jährige Orts­geschichte, ☞ frilaz) vermitteln kann.
  • und im Vorder­grund ein typisches Eisenbahn-Utensil der Stadt der ☞ Eisenbahn, auch manchmal "Eisenbahner­stadt" genannt ("Eisen", ab 1860, nach 1900 mit Bahn­betriebswerk neben Salzburg) – die Eisen­bahner (neben Zoll, Grenz­polizei und anderen) machen einen Teil der Identität der Stadt an der deutsch-österreichischen Grenze (seit 1816) aus.
  • Links im obigen Bild geht's übrigens an den ehe­maligen "Eisenbahner­häusern" die ☞ Rupertus­straße entlang zum ☞ Eisenbahn­museum "Lokwelt". (Nicht zu verwechseln mit der "Eisenbahn­kolonie", die zwischen 1908 und 1920 entstand und gegenüber der Rupertus­kirche in der ☞ Münchener Straße lag; vgl. Huber 1982, Nr. 46.) Und noch etwas: Die "Augustiner­straße" rechts im Foto erinnert ...

  • an die Augustiner – also jetzt nicht an die bayerische Bierbrau­tradition, sondern an die Eremiten vor Ort (1601–1773) im ☞ Alten Pfarrhof ☞ Salzburg­hofen (historische Bau­juwelen der Stadt). Die Augustiner prägten auf ihre Art die "Volks­bildung" in Freilassing durch die Ein­führung einer Schule (die einer anderen Ziel­setzung als die der Benediktiner Salz­burgs folgte, siehe Bemerkung oben; ☞ Schulen). Dem Orden hatte übrigens auch einst der Refor­mator Martin Luther angehört, und über die evan­gelisch-lutherische ☞ Kreuz­kirche wird es hier ebenso einen Artikel geben. Das bemerkens­werte lutherische Dreiklang-Gebäude-Ensemble mit eigenem Symbol­wert liegt an der Schul­straße (vgl. ☞ Zentral­schulhaus, ☞ Grund­schule) Ecke ☞ Bräuhaus­straße ("Bier") und der, natürlich – Martin-Luther-Straße!
  • Der andere Straßenname gedenkt ☞ Rupertus, dem in diesem Land­strich allgegen­wärtigen inno­vativen Missionar und ersten Bischof von ☞ Salzburg. Vordem war er Bischof in Worms. Der bayerischer Herzog Theodo lud ihn 696 ein (oder zwei Jahr­zehnte später, wie man annimmt), in unserem Land­strich beiderseits von Salzach und Saalach zu wirken. Er erhielt wichtige Anteile an der Saline in ☞ Reichen­hall, worauf offenbar unter anderem sein Bischofs­sitz den Namen "Salzburg" erhielt. Ohne neben Reichenhall das nicht weniger weit entfernte Hallein (Österreich) ver­nachlässigen zu wollen, wo schon die ☞ Kelten Stein­salz abbauten, was dann durch das bessere Meer­salz der ☞ Römer (Romanen) aus der Adria überflügelt wurde.

Mit Bischof Rupertus Ankunft in Salzburg beginnt die Geschichts­schreibung in unserer Region, weil es von da an schrift­liche Zeugnisse gibt. "Was man schreibt, das bleibt!" Dr. Fritz Moosleitner, der bedeutende öster­reichische Prä­historiker und ehe­malige Landesarchäologe von Salzburg (1985 bis 2001) stellt fest:

"Mit der Ankunft des hl. Rupertus in Salzburg im Jahr 696 setzt eine neue Entwicklung von großer geschichtlicher Tragweite ein. Der Historiker kann sich ab diesem Zeitpunkt auf eine Vielzahl schriftlicher Über­lieferungen stützen. Der Archäologie fällt für die nach­folgenden Zeit­stufen die Aufgabe zu, – z.B. durch Kirchen­grabungen oder Stadtkern­forschungen – manche Detail­probleme zu lösen, für die keine schriftlichen Quellen vorliegen" [2].

Die wenigen vorhandenen Erdfunde aus Freilassing aus römischer, baju­warischer und frühmittel­alterlicher Vergan­genheit sind, was vielfach an anderen Orten ebenso der Fall ist, Zufalls­funde (soweit ich das gegen­wärtig verstehe, abgesehen jetzt von der Not­grabung am baju­warischen Gräberfeld und stichpro­benartigen Grabungen in Salz­burghofen), beispiels­weise bei Bau- und Feldarbeiten, und schlummern in Museen oder sind gar "verschwunden" bzw. verschollen, wie Heimat­forscher Willi Huber einst beklagte [3].

Doch die Geschichte von ☞ Römern, wie dem Romanen ☞ Matulus und von ☞ Bajuwaren (was die Bedeutung "Männer aus dem Lande Baia" hat und mit Böhmen, dem antiken Boiohaemum, gleich­gesetzt wird) und anderen nach­gewiesenen "Urein­wohnern" auf heutigem Orts­gebiet, so aus dem frühen Mittel­alter (☞ Engilrammus von frilaz), könnte ebenfalls sinn­stiftend im Sinne von "Heimat" für die Identität einer Stadt wie Freilassing sein.

Ist jemals systematisch nach dem Land­gut oder Hof von ☞ Engilrammus von frilaz (auf ☞ frilaz geht immerhin der Orts­name Freilassing zurück, der "Frei­gelassene" bedeutet und nichts anderes, hat also mit "freigelas­sener Weide", wie man vielfach sogar amtlich lesen kann, wahr­scheinlich nichts zu tun; vgl. Enzinger 2003, S. 196), der offen­bar eine bedeut­same gesell­schaftliche Stellung innehatte, kein Landwirt war, gesucht worden? Offen­sichtlich weder quellen­kritisch noch archäo­logisch – Engilram bleibt bislang im Dunkeln geheimnisvoll ver­borgen, auch seine Tochter, die er laut einer alten Urkunde (1125 oder viel früher, da es sich um eine Abschrift handelt) frei­gekauft hat und eine "Frei­gelassene" wurde.

Mich würde nicht wundern, wenn zwischen dem Frei­kauf der Tochter des Engilram und dem Orts­namen frilaz auf Grund einer sprachlich rück­bezüglichen Funktion vielleicht eine direkte Ver­bindung besteht, die heute nicht (mehr?) wahr­genommen wird. (Sollte das Wappen Freilassing demnach kein Pferd, sondern vielleicht symbol­trächtig eine aus einer Abhän­gigkeit frei­gekaufte, damit "frei­gelasene" Frau aus ferner Vergan­genheit schmücken? 😎 Was dagegen sprechen könnte: Die Dame lebte nach dem Freikauf nicht in frilaz, sondern in einem Kloster in Salzburg ... Immerhin springt jeden­falls der Zusam­menhang zwischen "frei­gelassen" und "Freil­assing" ins Auge, was sicherlich nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist.) In seiner volu­minösen fabel­haften Stadt­chronik von 2003, Seite 41 gibt Kurt Enzinger Engilram im Kontext von frilaz Raum und bricht dann weiter­führende Forschungen ab, offenbar aus Mangel an Quellen. Wie sieht es damit heute aus?

Das gleiche Schicksal hat bislang den Römer (Romanen) Matulus ereilt, quasi den ersten namentlich bekannten Bewohner auf heutigem Freilassinger Stadt­gebiet (namenlose "Freilassinger" Bewohner aus Stein­zeit, Kelten- und Baju­warenzeit gibt es dergleichen mehr), das einst zum Verwal­tungsgebiet (offen­sichtlich nicht Stadtgebiet) des damaligen römischen "Salz­burg" oder "Iuvavum" gehörte. Nach dem in der Gegen­wart zumindest eine Straße in Freilassing benannt ist, die ☞ Matulusstraße. Mehr darüber auf meiner Spuren­suche nach dem alten Römer und seinem Guts­hof in dem Artikel "Matulus lässt unbe­kannterweise grüßen – die Matulusstraße in Freilassing" (in Arbeit).

Mir scheint, man scheute einst in Freilassing Kosten und Mühe, die syste­matische Experten­suche nach wert­vollen römischen, baju­warischen und früh­mittel­alterlichen Boden­zeugnissen im Orts­gebiet Freilassing von Historikern und Archäologen allein schon auf den als offizielle Bodendenk­mäler ausge­zeichneten Fund­orten durchführen zu lassen (Q101). Oder man erkannte nicht recht die werbe­wirksame und gleichwohl ehren­volle Bedeutung von historischen Wurzeln und Gebäuden für die Identität und das Image einer aufstrebenden modernen Stadt sowie ihre Anziehungs­kraft auf die Welt. Oder man über­sah schlichtweg diesen Teil der frühen Orts­geschichte, widmete sich nach 1900 wirt­schaftlich dem "Fortschritt" und nach 1945 dem Wieder­aufbau und "Wirtschafts­wunder" sowie geschichtlich der Eisen­bahn, die ein Teil­aspekt der Orts­geschichte Freilassings ist.

Wie zu Recht die Eisenbahn­geschichte, die 1860 begann, so gehören ebenso andere Ereignisse und Epochen vor der Stadt­erhebung 1954 zur Orts­geschichte, beispiels­weise Napoleons Kriege und andere Kriege: Durch den ersten "Franzosen­krieg", der 1800 mit der großen "verges­senen" Schlacht am Walser­feld und rund 20.000 Opfern (Tote, Verwundete, Vermisste) haupt­sächlich zwischen dem "Saalacheck" und Wals/Siezenheim auf der öster­reichischen Seite der Saalach stattfand. Aller­dings bewegten sich franzö­sische Truppen auf Freilas­singer Seite der Saalach entlang, wo es ihnen gelang, bei Hammerau den Fluß zu über­queren. Salz­burghofen und Freilassing waren nicht nur durch die strategisch wichtige alte Saalach­brücke vom Krieg unmittelbar betroffen, wie wir noch sehen werden, sondern spielten zumindest eine Neben­rolle durch die Ein­quartierung einer bedeut­samen Person auf franzö­sischer Seite in Salzburghofen.

Das Jahr 1819 – Freilassing, seit 1816 Grenzort zu Österreich, wird zum Sitz des Ober­zollamts erkoren – nicht Salzburghofen. Was man durchaus als den eigentlichen geschichtlichen Wende­punkt für den Weiler Freilassing bezeichnen kann! Im ersten Weltkrieg war an der Saalach in Freilassing der einzige offene Grenzübergang für Oberbayern.

Der deutsch-französische Krieg 1870/1871 durch die damaligen Kriegs­teilnehmer aus Salzburghofen/Freilassing, der die Gründung des Deutschen Reiches beschleunigte und woran die "Friedens­eiche 1871" in der Fuß­gänger­zone Freilassing bis heute erinnern soll.

Der erste Welt­krieg (1914 bis 1918 als Wende­punkt der Welt­geschichte) und der vernichtende zweite Welt­krieg (1939 bis 1945), aus­gelöst durch den Größen- und Rassenwahn des National­sozialismus und seines An-Führers, dem Diktator Adolf Hitler, der von 1933 bis 1945 in unserer Nähe im Dorf ☞ Obersalzberg (Gemeinde Salzberg) bei Berchtes­gaden eine Residenz betrieb und auf seinem "Berghof" und in Bischofswiesen als seinem zweiten Regierungssitz folgen­schwere welt­politische und menschenverachtende Entscheidungen traf, die bis heute schmerzlich nachwirken.

Wobei man letzteres, den National­sozialismus, zwar dem kollektiven Gedächtnis eines Ortes scheinbar "ent­schwinden" lassen kann, doch dieser Teil der Orts­geschichte wird immer unum­kehrbar dazu gehören und auf eine be­freiende Aufar­beitung warten. Viele Gemeinden und Städte in Bayern, Deutschland und Österreich haben die Aufar­beitung der Zeit des National­sozialismus durch sach­kundige oder enga­gierte Forschende erlaubt, gefördert und sich in analoge oder digitale Veröffent­lichungen nieder­schlagen lassen. Das schreibe ich jetzt als Ansporn vor allem für junge Menschen, aber auch für andere, die hierin eine Aufgabe sehen. Dafür können und sollen meine Bemerkungen und Artikel zu Geschichts­themen unter "NotizBLOG" und "Orts­geschichte" sowie "Erinnerungs­kultur/Gedenken" als Anstoß dienen!

Also ganz schön geschichts­trächtig das Ganze hier! Worauf diese Seiten durch diverse Beiträge noch weiter eingehen werden und auf anderes mehr, was mir beim "Stadt­schlendern" in Freilassing aufgefallen ist oder aus histo­rischer Sicht bemerkens­wert erscheint. Finde ich jedenfalls interessant ... 😎

Dann viel Spaß oder Interesse beim Lesen oder Stöbern auf den bereits vor­handenen und künftigen Seiten ... (Bitte um eine Weile Geduld, da viele Seiten und Rubriken noch in Arbeit oder Planung sind. Zudem meine gesund­heitliche Situation leider zu einem Still­stand fast aller Seiten hier geführt hat, wie auf den aktuellen Startseiten dieser Homepage erwähnt.)

Stephan Wrobel, Freilassing/Oberbayern, an der Stadtgrenze von Salzburg


Schlußwort (oder ein PS über Heimat­gefühl). Das Wort "Heimat" hat meiner Meinung nach bis heute nichts an seinem Zauber verloren. "Heimat" schafft eine Identität mit bereicherndem Lokal­kolorit, auch für solche mit einer "Wahl­heimat", Zuge­reiste also, wie mich. Eine Identität, die für Menschen jeden Alters auch von heute ein Stück Lebens­qualität bedeuten kann. Und die für ein sinn­volles und zufriedenes Leben einfach gut ist, finde ich. "Heimat" ist nicht zu verwechseln mit einem stumpfen Lokal­patriotismus oder gar ausgrenzenden Natio­nalismus, sondern als Europäer und Welt­bürger gedacht, die Anders­denkende oder woanders Geborene respektieren, sie nicht ausgrenzen oder bekämpfen, nicht auf sie herab­blicken, gleichzeitig jedoch eine feste Haltung gegenüber Extremen und Radikalen einnehmen. Hass hassen – keine Toleranz gegenüber Intoleranz, sozusagen. Keine Selbstjustiz.*
* Der Hass auf Menschen anderer Herkunft, Nationalität, Gesinnung, Religion, politischer Meinung oder Kultur hat in der Vergangenheit zu Leid und Tod von Millionen Menschen geführt, was ein wider­licher und abschreckender Vorgang ist (man denke nur an den desaströsen Größen- und Rassen­wahn der National­sozialisten, der Deutschland Vernichtung und große Verluste brachte), der keineswegs menschlich und gott­gefällig sein kann (☞ Erinnerungskultur/Gedenken). Und der mit keiner Theorie, sei es die Evolutions­theorie oder dem Sieg des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren, entschuldigt oder begründet werden kann. Krieg und Hass zerstören, lassen Leben aushauchen. Leben und Wachstum brauchen friedliche und näh­rende Bedingungen, um zu gedeihen, das beginnt schon im Mutter­leib, was damit bewiesen ist, und was jeder Mensch überall auf der Welt nach­vollziehen kann. Die Menschheit hat sich von Anfang an ihres Daseins auf diesem Planeten durch Kommu­nikation, Kooperation und Toleranz in Frieden ausbreiten können. Lokale Isolation führte Menschen in grauer Vorzeit dagegen nach­weislich ins Nichts, und sie starben in der Folge in ihrer Region aus.


Die meisten Freilassing-Artikel "Stadtschlendern" sind offline, bedingt durch meine gegenwärtige persönliche Situation. Die Bildergalerie mit Diashow (Titelbilder) ist online.



Themenübersicht

Stadtschlendern (nach Salzburghofen)

Mozart hätt's vielleicht gefreut – der sommerbunte Mozartplatz in Freilassing
Freilassing – die Hafnerkapelle am Kreuzweg
Kreuzweg mit Panoramablick
Matulus lässt unbekannterweise grüßen – die Matulusstraße in Freilassing
Die Villa der Heilingbrunner Schwestern in Freilassing

Weiter in Vorbereitung ...



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Stephan Wrobel: Freilassings Identität – Lehm und Eisen(bahn) und vieles mehr. Online publiziert im "NotizBLOG", Mein Stadt- und Naturschlendern (persönlicher Blog), URL: https://www.stephan-wrobel.de/notizblog/freilassing/start-freilassing.htm (abgerufen ).

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