"Aus meiner Phantasie"


Der rote Tod

(West-Berlin, 26. November 1968)

 

IM Feuer des nächtlichen Brand'
flackern die Steine der nördlichen Wand.
Die feurige Glut kracht und zischt –
die Glocken brausen zu der späten Stund'
– das Feuer fließt und glüht wie Blut.
Die dunkle Botschaft geht von Mund zu Mund.

IM Feuer des nächtlichen Brand'
flackern die Steine der nördlichen Wand.
Bleiche Gesichter durchzuckt Angst.
Schreie durchfahren das nächtliche Licht.
Die Männer raffen Weib und Kind,
für's nackte Leben, in brennender Not,
zu entkommen dem roten Tod.
Das Dorf, in Angst und Schrecken eilt es fort,
läßt zurück den tobenden Ort.

IM Feuer des nächtlichen Brand'
glühen die Steine der nördlichen Wand.
Nur zehn Männer hasten zur Stell',
mutige Leute und Bauerngeschlecht;
sie alle führen die Beile
und schlagen nicht schlecht. Sie kennen die Not,
haben Weib und viele Kinder,
und so fürchten sie das Grab und den Tod.
Doch der Rote hielt wüste Wacht,
schonte weder die Häuser noch die Kuh
– er will siegen in dieser Schlacht.
Frißt und frißt und frißt – Stuhl und Tisch und Schuh.
Da – im Flackern des Herdes bricht
krachend und splitternd das glühende Dach.
Der Rote knistert und er lacht –
schrecklich sprühen die Funken in die Nacht –
frißt weiter und hält seine Macht.

IM Feuer des nächtlichen Brand'
spucken die Steine der nördlichen Wand.
Die Männer sind wie Rasende.
Es geht von Hand zu Hand. Sie geben Trotz
dem Würger – nah' der Feuerwand.
Sie sehen in den beißenden Rachen.
– Da hebt der Hein die graue Hand –
und sie hören, wie die Balken krachen,
"Haltet nur aus. Und kämpft mit Mut.
Männer! Wie kämpfen doch für Hab und Gut."
Das sich're Ende kennt man wohl,
doch sie kämpfen und bleiben in der Glut.
Da knirscht es, wie fernes Grollen,
und mit Getöse stürzt der schwarze Rand
– und mit ihm die glühende Wand.

IM Scheine des nördlichen Brand'
flüstern die Steine der nördlichen Wand.
Und zehn Mann' liegen im Totengewand.

 

johannes stephan wrobel - stephan castellio


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Heute kann ich nur vermuten, daß dieses Gedicht aus meiner Teenagerzeit ideologisch bedingt ist. Während ich mit meinen Eltern und Geschwistern im freiheitlichen West-Berlin lebte, wohnte meine Großmutter im kommunistischen Teil der Stadt, in Ost-Berlin. "Der rote Tod" dürfte über die gefährliche sozialistische Ideologie, die an der Zonengrenze Menschenleben forderte und Andersdenkende in der DDR ins Gefängnis brachte, hinausgehen und die Sowjetunion und ihre Gulags einschließen – das Wissen um die Aussichtslosigkeit eines heroischen Kampfes gegen die rote Ideologie, das unfreiheitliche System und ihre Vollstrecker, dennoch folgten Menschen ihrem Gewissen und gingen dafür in den Tod.


© 1968 johannes stephan wrobel

 

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